Kinopremiere der Flensburg-DVD zum Ende des Geburtstagsjahres des Flensburger Tageblatts.
von Carlo Jolly
In den 30er Jahren muss es in der Großen Straße noch fünf Schlachter gegeben haben. Hans-Heinrich Ingwersen, Jahrgang 1932 und selbst ein Kind der Großen Straße, erinnert sich jedenfalls noch an Geschäfte, in denen eher der Marienhölzungsweg einkaufte – und an solche, in denen die Arbeiterschaft noch anschreiben lassen konnte. Das Pferdefuhrwerk der Bäckerei an der Duburger Straße von 1924 ist der älteste und damit erste Beitrag. Der Pferdewagen gefüllt mit frischen Backwaren, der aus dem Hof in die steile Duburger abbiegt, ist in Zeiten von Großbäckereien und Industriebrötchen schon eine kleine Sensation. Auch die Auslage von Radio Emeis, Holm 72, glänzt mit seinen Röhrenradios in Schwarzweiß, wie es heute kein digitales Abspielgerät mehr vermag.
Für einen wie Stefan Kläsener kam dieser Film zur Stadtgeschichte zum richtigen Zeitpunkt. Vor mehr als 250 Zuschauern bei der Premiere im UCI-Kino outete sich Kläsener, seit knapp einem Jahr sh:z-Chefredakteur, als Flensburger Neubürger mit Migrationshintergrund: „Mit diesem Film und der Zeitungsserie zum 150. Tageblatt-Geburtstag haben sich die Flensburger sich selbst ein Geschenk gemacht“, erklärte er.
Für Bernd Nebeling von der Marburger Firma Art & Weise ist die Kooperation mit dem Flensburger Tageblatt nicht das erste stadtgeschichtliche Porträt mit Zeitzeugen. Dieses Projekt in Flensburg sei für ihn in mehrerer Hinsicht sehr ungewöhnlich gewesen. Mit 109 Minuten ist es nicht nur die längste bislang erschienene Dokumentation dieser Art, sie sei in einem Rekordtempo seit dem Frühjahr umgesetzt worden – und mit gewaltiger Resonanz: Fast 70 Zeitzeugen und mehr als 100 Flensburger, die Filmmaterial einreichten, haben diese Veröffentlichung erst ermöglicht. „Die Rekordzeit ergab sich dadurch, dass sehr schnell sehr viel Material eingereicht wurde“, berichtete Nebeling.
Natürlich wird der Hafen in der Flensburg-DVD gewürdigt, vor dem Krieg, als noch Fischerboote lagen, wo heute überwiegend Freizeitsegler festmachen. Auf der Werft, wo nach dem Krieg noch bis zu 3000 Arbeiter beschäftigt waren, laufen Neubauten in Schwarzweiß vom Stapel – und der Zuschauer erfährt den Lohn eines Werftarbeiters für den Stapellauf – eine Flasche Bier und zwölf Zigaretten. Es waren die 50er und 60er Jahre, als die Schiffe längst auf dem neuen Werftgelände an der Batteriestraße auf Kiel gelegt wurden, aber die Alte Werft an der Werftstraße (heute FFG) noch als Ausrüstungswerft fungierte.
Über Sonnberg-Rum und die Brauerei führt der Film ins alte Rathaus. Die Zuschauer werden Zeuge des Rathausabrisses an der Stelle des heutigen Karstadt-Hauses – und des Richtfestes für den Neubau am Pferdewasser. Und ganz nebenbei erfährt man manche historische Neuigkeit: Oder wer weiß noch, dass die Holzvertäfelung im Ratssaal von der Tischlerei der Werft hergestellt wurde?
Die Flensburg-DVD gibt es in den Kundencentern Nikolaistraße 7 und Fördestraße 20 für 19,90 Euro.